Beschlussvorschlag:
Der Rat der Stadt hebt seine Beschlüsse vom 18.06.2018 zu den dortigen Tagesordnungspunkten 1 und 7 auf.
Sachverhalt:
Gemäß § 54 Abs. 2 der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen hat der Bürgermeister einen Beschluss des Rates zu beanstanden, wenn dieser das geltende Recht verletzt. Dem Bürgermeister steht kein Ermessen zu, wenn die Rechtsverletzung sich unmittelbar aus dem Beschluss ergibt, sondern er ist verpflichtet, diesen zu beanstanden.
Der Rat der Stadt hat in seiner Sitzung am 18.06.2018 zu Tagesordnungspunkt 1 folgenden Beschluss gefasst:
„Herr Bürgermeister Rainer Bleek lässt über die Erweiterung der Tagesordnung abstimmen. Die Erweiterung der Tagesordnung um den Tagesordnungspunkt 7; Dringlichkeitsantrag: Beginn des Verfahrens gemäß § 73 Abs. 1 GO NRW – Änderung der Geschäftskreise der Beigeordneten, wird mit 32 Ja-Stimmen (16 CDU, 7 WNKUWG Freie Wähler, 3 FDP, 5 Bürgerforum, Herr Karl Springer) und 16 Nein-Stimmen (9 SPD, 5 Bündnis 90/Die Grünen, Herr Horst Walter Schenk, Frau Jutta Hildner) bei 1 Enthaltung (Herr Andreas Müßener) beschlossen.“
Unter Tagesordnungspunkt 7 wurde eine Empfehlung an den Bürgermeister ausgesprochen.
Grundlage dieser Beschlüsse war ein „Dringlichkeitsantrag“ der Fraktionen von CDU, WNK UWG FREIE WÄHLER, Bürgerforum und FDP vom 18.06.2018, welcher dieser Beschlussvorlage als Anlage nochmals beigefügt ist.
Die Bürgermeister hat die Frage der Rechtmäßigkeit dieser Beschlüsse in Zusammenarbeit mit der Sozietät Redeker/Sellner/Dahs in Bonn geprüft und kommt zu folgendem Ergebnis:
„Hiermit beanstande ich diese Beschlüsse gem. § 54 Abs. 2 Gemeindeordnung Nordrhein Westfalen.“
Begründung:
§ 54 Abs. 2 Gemeindeordnung Nordrhein Westfalen hat folgenden Wortlaut:
„§ 54 Widerspruch und Beanstandung (1) …..
(2) 1Verletzt ein Beschluss des Rates das geltende Recht, so hat der Bürgermeister den Beschluss zu beanstanden. 2Die Beanstandung hat aufschiebende Wirkung. 3Sie ist schriftlich in Form einer begründeten Darlegung dem Rat mitzuteilen. 4Verbleibt der Rat bei seinem Beschluss, so hat der Bürgermeister unverzüglich die Entscheidung der Aufsichtsbehörde einzuholen. 5Die aufschiebende Wirkung bleibt bestehen.“
Der Beschluss des Rates der Stadt stellt einen Verstoß gegen § 48 Abs. 1 Gemeindeordnung Nordrhein Westfalen dar.
Diese Vorschrift hat folgenden Wortlaut:
„§ 48 Tagesordnung und Öffentlichkeit der Ratssitzungen
(1) 1Der Bürgermeister setzt die Tagesordnung fest. 2Er hat dabei Vorschläge aufzunehmen, die ihm innerhalb einer in der Geschäftsordnung zu bestimmenden Frist von einem Fünftel der Ratsmitglieder oder einer Fraktion vorgelegt werden. 3Fragestunden für Einwohner können in die Tagesordnung aufgenommen werden, wenn Einzelheiten hierüber in der Geschäftsordnung geregelt sind. 4Zeit und Ort der Sitzung sowie die Tagesordnung sind von ihm öffentlich bekanntzumachen. 5Die Tagesordnung kann in der Sitzung durch Beschluss des Rates erweitert werden, wenn es sich um Angelegenheiten handelt, die keinen Aufschub dulden oder die von äußerster Dringlichkeit sind.“
1. Die Tagesordnung einer Ratssitzung kann gemäß § 48 Abs. 1 Satz 5 GO NRW in der Sitzung durch Beschluss des Rates erweitert werden, wenn es sich um Angelegenheiten handelt, die keinen Aufschub dulden oder die von äußerster Dringlichkeit sind. Es ist nicht zu erkennen, dass eine dieser Voraussetzungen vorgelegen hätte.
Der in dem „Dringlichkeitsantrag“ vom 18.06.2018 dargestellte Entscheidungsanlass ergibt sich aus der bevorstehenden Versetzung des Kämmerers zur Stadt Leverkusen. Als Versetzungstermin war schon vor dem „Dringlichkeitsantrag“ vom 18.06.2018 der 15.08.2018 vorgesehen. Die nächste regelmäßige Sitzung des Rates war für den 09.07.2018 terminiert. Es war deshalb nicht erforderlich, die Angelegenheit in der Sondersitzung am 18.06.2018 zu behandeln, die allein zur Behandlung der Thematik der Sekundarschule anberaumt worden war. Eine Angelegenheit duldet dann keinen Aufschub, wenn ihre Beratung und Entscheidung unter Berücksichtigung der einzuhaltenden Ladungsfrist nicht bis zur nächsten Ratssitzung aufgeschoben werden kann, ohne dass Nachteile eintreten, die nicht wieder rückgängig gemacht werden können; an die äußerste Dringlichkeit sind noch strengere Anforderungen zu stellen (vgl. VG Minden, 19.10.2011 – 2 K 762/10 – juris Rn. 74).
Wird die Tagesordnung erweitert, ohne dass die in § 48 Abs. 1 Satz 5 GO NRW normierten Voraussetzungen vorliegen, so sind nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Minden die aufgrund der Erweiterung der Tagesordnung gefassten Beschlüsse des Rates unwirksam (VG Minden, 19.10.2011 – 2 K 762/10 – juris Rn. 66 ff.). Diese Frage kann man zwar auch anders beurteilen; jedenfalls aber sind die Beschlüsse rechtswidrig.
2. Verletzt ein Ratsbeschluss das geltende Recht, so hat der Bürgermeister ihn gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 GO NRW zu beanstanden. Die Beanstandung ist grundsätzlich nicht zeitlich befristet. Allerdings wird allgemein angenommen, dass eine Beanstandung nur möglich ist, solange der fragliche Beschluss nicht durchgeführt ist (so Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen, § 54 Anm. III.1.) bzw. solange keine vollendeten Tatsachen geschaffen wurden (so Faber in Held u.a., Kommunalverfassungsrecht NRW, § 54 GO Anm. 2.4).
Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass die Beanstandung des Beschlusses über die Erweiterung der Tagesordnung nicht mehr möglich sei, weil anschließend eine Sachentscheidung zu dem neuen Tagesordnungspunkt getroffen worden sei. Diese Überlegung ist aber im Ergebnis nicht tragfähig: Ist die Sachentscheidung infolge der unzulässigen Erweiterung der Tagesordnung unwirksam, so wurden auch keine vollendeten Tatsachen geschaffen. Ist die Sachentscheidung wirksam, so kann sie nach Beanstandung noch aufgehoben werden.
Der Umstand, dass unwirksame Beschlüsse keine Rechtsfolgen entfalten, steht der Beanstandung des Beschlusses über die Erweiterung der Tagesordnung ebenfalls nicht entgegen. Die Aufhebung des rechtswidrigen Beschlusses zur Erweiterung der Tagesordnung beseitigt jedenfalls den Rechtsschein einer wirksamen Erweiterung der Tagesordnung und trägt damit zugleich dazu bei, dass die Unwirksamkeit des anschließend gefassten Beschlusses zur Sache erkennbar wird, wenn man auf der Basis der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Minden die Unwirksamkeit annimmt.
Die Rechtswidrigkeit des Beschlusses über die Erweiterung der Tagesordnung hat als Ergebnis dieser Überlegungen die weitere Folge, dass auch der Sachbeschluss zu beanstanden ist. Auch wenn er unwirksam sein sollte, ist durch Aufhebung des Beschlusses der durch ihn erzeugte Rechtsschein zu beseitigen.
3. Ein etwaiger Beschluss, den Ersten Beigeordneten zum Kämmerer zu bestellen und das Amt 20 seinem Dezernat zuzuordnen, könnte die Rechte des Bürgermeisters aus § 62 Abs. 1 Satz 4 GO NRW verletzen.
Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 4 GO NRW kann der Bürgermeister sich bestimmte Aufgaben vorbehalten. § 62 Abs. 1 Satz 4 GO NRW ermächtigt den Bürgermeister nach allgemeiner Auffassung, sich ein eigenes Dezernat zuzuordnen. Diese aus seiner Organisationskompetenz sich ergebende Befugnis hat Vorrang vor der Befugnis des Rates, gemäß § 73 Abs. 1 GO NRW den Geschäftskreis der Beigeordneten festzulegen. Bei der Ausübung seiner Rechte aus § 62 Abs. 1 Satz 4 GO NRW hat der Bürgermeister den Grundsatz der wirtschaftlichen und sparsamen Verwaltung zu beachten; der Bürgermeister hat sein Organisationsermessen sachgerecht auszuüben und dabei zu berücksichtigen, dass auch für die Beigeordneten noch hinreichende Aufgaben verbleiben müssen. Im Übrigen wird er aber durch die Kompetenzen des Rates aus § 73 Abs. 1 GO NRW in seinem Bestimmungsrecht grundsätzlich nicht beschränkt. Was der Bürgermeister sich vorbehalten hat, steht für Entscheidungen des Rates über die Geschäftskreise der Beigeordneten nicht mehr zur Verfügung (vgl. Oebbecke, NWVBl. 2013, 469, 471; Plückhahn in Held u.a., § 62 GO Anm. 10.1, § 73 Anm. 2.2; Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, § 62 Anm. II.6.).
Die Organisationskompetenz des Bürgermeisters könnte allerdings durch eine spezielle Befugnis des Rates eingeschränkt sein, den Kämmerer zu bestimmen. In der Literatur wird dies teilweise angenommen. Dies soll sich aus der herausgehobenen Stellung des Kämmerers innerhalb der Verwaltung ergeben. Der Rat soll in entsprechender Anwendung von § 73 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 GO NRW berechtigt sein, einen Beigeordneten oder einen sonstigen Bediensteten zum Kämmerer zu bestellen mit der Folge, dass der Bürgermeister sich eine solche Bestellung nicht vorbehalten könne (so sinngemäß Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, § 80 Anm. II.).
Diese Auffassung hat im Gesetz allerdings keine hinreichende Grundlage. In kreisfreien Städten ist die Bestellung des Stadtkämmerers zwar gemäß § 71 Abs. 4 GO NRW der Organisationskompetenz des Bürgermeisters entzogen, weil zwingend ein Beigeordneter als Stadtkämmerer zu bestellen ist; das schließt es aus, dass der Bürgermeister sich diese Funktion auf der Grundlage von § 62 Abs. 1 Satz 4 GO NRW vorbehält. Dieser Regelung kann aber nicht entnommen werden, dass die Kompetenz des Bürgermeisters zur Bestellung des Kämmerers oder zur Zuordnung der Kämmerei zu seinem Dezernat in kreisangehörigen Gemeinden ebenfalls beschränkt wäre. Dasselbe gilt für die gesetzlichen Regelungen, die sich auf die Aufgaben des Kämmerers beziehen. Im Gesetzgebungsverfahren wurde die Frage, soweit ersichtlich, nicht erörtert. Die in § 71 Abs. 4 GO NRW enthaltene Regelung beruht auf einem Vorschlag der SPD-Fraktion, der nicht begründet wurde (LT-Drucks. 11/4983). Eine analoge Anwendung von § 73 Abs. 1 GO NRW gibt für die Einschränkung der Organisationskompetenz des Bürgermeisters bei der Entscheidung über die Zuordnung der Kämmerei zu seinem Dezernat nichts her, weil die durch § 62 Abs. 1 Satz 4 GO NRW begründete Befugnis des Bürgermeisters, sich Aufgaben vorzubehalten, Vorrang gegenüber den Entscheidungskompetenzen des Rates nach § 73 Abs. 1 GO NRW hat.
Im Ergebnis kann der Bürgermeister der Stadt Wermelskirchen daher wie bisher die Aufgaben der Kämmerei seinem Dezernat zuordnen und einem Bediensteten, der nicht Beigeordneter ist, die Aufgaben des Kämmerers übertragen.
Selbstverständlich steht es dem Bürgermeister frei, dem Rat statt dessen die Entscheidung über die Bestellung eines Beigeordneten zum Kämmerer zu überlassen. Er müsste dann dem Dezernat des Kämmerers zugleich diejenigen Teile des bisherigen Amtes 20 zuordnen, die zur Wahrnehmung der Aufgaben des Kämmerers erforderlich sind. Dazu dürften die Aufgaben des Sachgebiets 20.1 und der Gruppe 20.2.1 gehören. Die anderen Aufgaben könnte er in seinem Dezernat belassen, soweit er dies für zweckmäßig erachtet.
Dies ist jedoch seitens des Bürgermeisters ausdrücklich nicht geplant.
Bleibt entgegen der Beanstandung des Bürgermeisters der Rat der Stadt bei seinen beanstandeten Beschlüssen, ist seitens des Bürgermeisters unverzüglich eine Entscheidung der Aufsichtsbehörde einzuholen. Die aufschiebende Wirkung der Beanstandung bleibt bestehen.
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