Vorlage - 0152/2022  

 
 
Betreff: Sachstandsmitteilung zur Rechtsprechung des OVG Münster
Status:öffentlich  
Federführend:Kämmerei Bearbeiter/-in: Irlenbusch, Dirk
Beratungsfolge:
Betriebsausschuss Städtischer Abwasserbetrieb Anhörung
08.09.2022 
Sitzung des Betriebsausschusses Städtischer Abwasserbetrieb (offen)   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlage/n
Finanzielle Auswirkungen

Beschluss:

 

Der Betriebsausschuss nimmt die Ausführungen zum aktuellen Sachstand zur Rechtsprechung des OVG Münster zur Kenntnis.
 


Sachverhalt:

 

Historie:

 

Gegen einen Abwasserabgabenbescheid der Stadt Oer-Erkenschwick aus 2017 wurde Klage beim Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen eingereicht.

 

Klagegenstand war die Gebührenkalkulation der Stadt im Bereich der Abwassergebühren Schmutz- und Niederschlagswasser.

 

Das VG Gelsenkirchen hat mit Urteil vom 13.02.2020 die Klage abgewiesen, aber die Berufung zugelassen.

 

Der Klagende ging in Berufung beim Oberverwaltungsgericht Münster (OVG NRW). Zuständig hierbei war der 9. Senat. Dieses ließ zusätzlich zur Beweisführung ein betriebswirtschaftliches Sachverständigengutachten einholen.

 

Der 9. Senat des OVG NRW urteilte am 17.05.2022 (Az.: 9 A 1019/20) zugunsten des Klagenden und schloss eine Revision gegen das Urteil aus.

 

Die beklagte Stadt hat nunmehr gegen das Urteil des OVG NRW Nicht-Zulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) eingelegt. Das Urteil des OVG NRW ist damit nicht rechtskräftig und es ist abzuwarten, wie das BVerwG über die Nicht-Zulassungsbeschwerde entscheidet.

 

Inhalt des Urteils vom OVG NRW:

 

Die Klage bezog sich auf die Gebührenkalkulation der Abwassergebühren Schmutz- und Niederschlagswasser der Stadt Oer-Erkenschwick. Insbesondere wurde der Ansatz der kalkulatorischen Kosten kritisch betrachtet.

 

In diesem Fall sind unter den kalkulatorischen Kosten die kalkulatorische Abschreibung und die kalkulatorische Verzinsung, die in der Gebührenkalkulation angesetzt werden, zu verstehen.

 

Die Abschreibung erfasst den Werteverzehr bei langlebigen Anlagegütern (z.B. bei Schmutz- und Regenwasserkanälen). Die kalkulatorische Abschreibung kann auf Basis der tatsächlichen Anschaffungs- und Herstellungskosten erfolgen oder auf Basis des Wiederbeschaffungszeitwertes. Hierbei werden die tatsächlichen Anschaffungs- und Herstellungskosten jährlich mit einem Index multipliziert, um die individuelle Teuerungsrate der langlebigen Anlagegüter zu berücksichtigen.

 

Der kalkulatorische Zinssatz stellt unter anderem Opportunitätskosten dar. Sie sollen die Zinsen abbilden, die die Stadt bekommen hätte, wäre das Geld nicht in langlebigen Anlagegütern gebunden, sondern angelegt worden. Hierbei wird zwischen den Begriffen Realzins und Nominalzins unterschieden. Der Realzins gibt grundsätzlich den Zinsgewinnanteil wieder und der Nominalzins schließt zudem noch den allgemeinen Inflationsausgleich mit ein.

 

Zur Berechnung des kalkulatorischen Zinssatzes durfte ein 50-jähriger Durchschnittszinssatz öffentlicher Anleihen inkl. eines Sicherheits-Zuschlags von 0,5 % verwendet werden. (Ausdrückliche Empfehlung der Gemeindeprüfungsanstalt NRW).

 

Die Stadt Oer-Erkenschwick kalkulierte die kalkulatorische Abschreibung nach Wiederbeschaffungszeitwert und die kalkulatorischen Zinsen mit einem Nominalzinssatz von 6,52 % (Stand 2017).

 

Die Berechnung entsprach der bis dato geltenden, ständigen Rechtsprechung.

 

Mit dem Urteil des 9. Senats des OVG NRW vom 17.05.2022 wurde die seit dem Jahre 1994 geltende, ständige Rechtsprechung zur kalkulatorischen Abschreibung und Verzinsung von langlebigen Anlagegütern (wie z.B. Schmutz- und Regenwasserkanälen) bei der Kalkulation von Benutzungsgebühren (hier: Abwassergebühren) aufgegeben und geändert.

 

Grundsätzlich ist es lt. Urteil des OVG NRW weiterhin zulässig die kalkulatorische Abschreibung auf Grundlage des Wiederbeschaffungszeitwertes zu berechnen und gleichzeitig kalkulatorische Zinsen zu erheben. Bezug nimmt das OVG NRW auf das eingeholte betriebswirtschaftliche Gutachten, dass die Kombination von Abschreibungen nach Wiederbeschaffungszeitwert und Zinsen gem. dem sogenannten betriebswirtschaftlichen Kostenbegriff des § 6 Abs. 2 KAG NRW abstellt.

 

Unzulässig ist lt. Urteil des OVG NRW nunmehr die kalkulatorische Abschreibung von langlebigen Anlagegütern auf der Grundlage des Wiederbeschaffungszeitwertes und zugleich zusätzlich der Ansatz eines kalkulatorischen Nominalzinssatzes.,  Hierdurch erfolge ein doppelter Inflationsausgleich: . Nominalzinsen  bestünden grundsätzlich aus dem Realzins und dem allgemeinen Inflationsausgleich und auch bei der kalkulatorischen Abschreibung nach dem Wiederbeschaffungszeitwert werde mithilfe jährlich indizierter Anschaffungswerte ein individueller Inflationsausgleich erzielt.

 

Nach Auslegung der §§ 75 Abs.1 S.1, 77 Abs. 2 Nr. 1 GO NRW dürfe die Erhebung der Abwasserbeseitigungsgebühren nur erfolgen, soweit dieses zur stetigen Erfüllung der Aufgabe der Abwasserbeseitigung mit einer dauerhaft betriebsfähigen Abwasserbeseitigungseinrichtung erforderlich sei. Zur Erfüllung dieser Aufgabe bedürfe es daher nur eines einfachen Inflationsausgleichs.

 

Auch unzulässig sei der 50-jähriger Durchschnittszinssatz öffentlicher Anleihen. Ebenso sei die zusätzliche Anwendung eines Sicherheits-Zuschlags von 0,5 % bei Fremdkrediten unzulässig.

 

Zulässig sind gem. Urteil nur folgende Varianten:

 

1.) Reale Kapitalerhaltung (=Anschaffungswertmodell/Nominalzinsmethode):

 

Die Abschreibung erfolgt nach den tatsächlichen Anschaffungs- und Herstellungskosten und die kalkulatorische Verzinsung erfolgt mit dem Nominalzins.

 

2.) Reproduktive Nettosubstanzerhaltung (=Wiederbeschaffungszeitwertmodell//Realzinsmethode):

 

Die kalkulatorische Abschreibung erfolgt auf Basis des Wiederbeschaffungszeitwertes und die kalkulatorische Verzinsung erfolgt mit dem Realzins.

 

Bei beiden Verzinsungsmethoden ist ein 10-jähriger Durchschnittszinssatz möglich (ausgehend Vorvorjahr des Kalkulationszeitraumes). Der Sicherheits-Zuschlag von bis dato 0,5 % ist unzulässig.

 

Konsequenz für den Städtischen Abwasserbetrieb Wermelskirchen (SAW):

 

Der SAW stellte bis dato die Gebührenkalkulation nach der stetig, geltenden Rechtsprechung von 1994 auf. Der SAW rechnete bei den Gebührenhaushalten Schmutz- und Niederschlagswasser die kalkulatorischen Abschreibungen auf Basis des Wiederbeschaffungszeitwertes und die kalkulatorischen Nominalzinsen i.H.v. 5,0%, ähnlich wie die beklagte Stadt Oer-Erkenschwick.

 

Die Gebührenhaushalte „Feste Gruben“ und „Kleinkläranlagen“ sind nicht betroffen, da dort keine kalkulatorischen Kosten in die Gebührenkalkulation einfließen.

 

Gem. dem OVG NRW Urteil vom 17.05.2022 ist die Gebührenkalkulation anzupassen, um einen doppelten Inflationsausgleich zu vermeiden.

 

Der SAW wird sich demnach der Reproduktiven Nettosubstanzerhaltungsvariante (=Wiederbeschaffungszeitwertmodell//Realzinsmethode) bedienen, um die kalkulatorischen Kosten in der Gebühr zu berechnen.

 

Allerdings hat das BVerwG noch über die Nicht-Zulassungsbeschwerde zu entscheiden. Solange ist das Urteil des OVG NRW noch nicht rechtskräftig.

 

Empfehlungen der Kommunal Agentur vom 01.09.2022:

 

Am 01.09.2022 erläuterte Frau Dr. Dahme (Vorsitzende Richterin des 9. Senats des OVG NRW) in einem Online-Spot der Kommunal Agentur NRW die Urteilsentscheidung. Herr Dr. jur. Queitsch und Frau Ass. Jur. Wallbaum (Kommunal Agentur NRW) sprachen Handlungsempfehlungen für Kommunen im Umgang mit dem Urteil des OVG NRW und der noch offenen Entscheidung des BVerwG über die Nicht-Zulassungsbeschwerde aus.

 

Trotz der Nicht-Zulassungsbeschwerde empfiehlt die Kommunal Agentur NRW die Gebühren 2023 (SAW: Schmutz- und Niederschlagswassergebühren) nach dem Urteil des OVG NRW zu kalkulieren. Also eine Umstellung der Berechnung der kalkulatorischen Kosten auf die Reproduktive Nettosubstanzerhaltungsvariante (=Wiederbeschaffungszeitwertmodell//Realzinsmethode).

 

Eindeutig war auch die Aussage der Kommunal Agentur und von Frau Dr. Dahme, dass bestandskräftige Gebührenbescheide gem. § 12 Abs.1 Nr. 3 lit. b KAG NRW i.V.m. § 130 Abs. 1 Abgabenordnung im Rahmen einer Ermessensentscheidung nicht aufgehoben werden müssen. Hierbei hat das Prinzip der Bestandskraft eines Verwaltungsaktes (Gebührenbescheid) Vorrang vor dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit.

 

Bei anderen Ermessenentscheidungen, die durch das Urteil tangiert werden, befindet sich die Verwaltung schon in der internen Abstimmung. Falls es keine kurzfristigen Gesetzesänderungen gibt, orientiert sich der SAW hier auch an den Empfehlungen der Kommunal Agentur. Tenor ist derzeit jedoch auch, dass die Entscheidung zur Nicht-Zulassungsbeschwerde durch das BVerwG abgewartet wird.
 


Anlage/n:

 


 


 

Finanzielle Auswirkungen:

 

Ja

 

Nein

Finanzielle Absicherung der Ausgaben bei:

 

Gesamtkosten der Maßnahme (Beschaffungs-/ Herstellungskosten einschl. MWSt.)

Zur Verfügung stehende Mittel: Ansatz, Ausgaberest

Verpflichtungsermächtigung

    EUR

    EUR

    EUR

hrliche zusätzliche Folgekosten:

    EUR

 

Keine

Der Betrag steht haushaltsmäßig in voller Höhe zur Verfügung: (bei Nein: Stellungnahme der Kämmerei erforderlich)

 

 

Ja

 

Nein

Auswirkungen auf das Haushaltssicherungskonzept: (bei Ja: Stellungnahme der Kämmerei erforderlich)

 

 

Ja

 

Nein

Wenn Ja, welche: