Beschluss:
Der Rat der Stadt beschließt gemäß § 83 Abs. 2 GO NW bei den Produkten
060301, 060302, 060303, 060304, 060305
überplanmäßige Aufwendungen und Auszahlungen in Höhe von insgesamt 1.900.000 €. Die Deckung erfolgt durch Mehrerträge bei der Gewerbesteuer.
Sachverhalt:
Im Bereich der Hilfen zur Erziehung hat sich im Haushaltsjahr 2024 ein Mehrbedarf ergeben. Um die Zahlung für die Heimunterbringungskosten und die Zahlung der Leistungen im Bereich der Kindertagespflege sicherstellen zu können, ist es erforderlich die entsprechenden Haushaltsansätze wie folgt zu erhöhen:
Begründung:
Im Bereich der Hilfen zur Erziehung ist es schwierig, Entwicklungen vorauszusehen und die entsprechende Haushaltsplanung langfristig verbindlich darzustellen. Insbesondere kann es wie im vorliegenden Fall immer wieder zu Situationen kommen, die ursprünglich gebildeten Haushaltsansätze den tatsächlichen Gegebenheiten anpassen zu müssen.
In den vergangenen zwei Jahren ist es zu einer massiven Kostensteigerung von bis zu 23,75 % im Bereich der Hilfe zur Erziehung gekommen. In diesen Fällen führt dies zu Mehrkosten in Höhe von täglich 50 bis 70 € pro Heimplatz (bei Durchschnittlich 60 €: 21.900 € pro Jahr und Fall), 70 € pro Inobhutnahmeplatz und 18 € pro Fachleistungsstunde.
In der qualitativen Analyse sind diese Steigerungen auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Besonders prägnant ist es im Bereich der Eingliederungshilfe. Diese Hilfen richten sich an Kinder und Jugendliche ab dem Schulalter, die von einer seelischen Behinderung bedroht sind bzw. bei denen eine seelische Behinderung vorliegt. Die Ausgestaltung der Hilfe zur Abwendung der Behinderung kann sowohl ambulant (z.B. als Schulbegleitung), teilstationär (in Tagesgruppe) oder stationär (in Wohngruppe/im Internat) als auch in Kombination erfolgen. Vor den flächendeckenden Schul- und Kitaschließungen ab dem Jahr 2020 gab es 18 Hilfen gem. § 35a SGB VIII. Im Oktober 2024 wurden für 48 Kinder und Jugendliche Hilfen gem. § 35a SGB VIII gezahlt. 33 dieser Kinder und Jugendlichen werden aktuell durch eine Integrationskraft im Schulalltag begleitet. Die Kosten der Hilfemaßnahme sind trotz eines ambulanten Settings vergleichbar mit einer stationären Jugendhilfeleistung (durchschnittlich rd. 4.500 € monatlich). Der Anstieg der Hilfen im Bereich § 35a SGB VIII entspricht circa 167 %.
Auffällig ist hierbei die Tatsache, dass viele der betroffenen Kinder bereits ab Schuleintritt auf die Unterstützung einer Schulbegleitung angewiesen sind. Diese Kinder verweigern teilweise schon in der ersten Klasse den Schulbesuch und können weder durch Eltern noch Lehrkräfte in den Schulalltag integriert werden. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Es besteht beispielsweise eine Zunahme von Diagnosen im Bereich des Autismusspektrums sowie psychischer Erkrankungen. Darüber hinaus sind auch viele Kinder ohne eine Autismusdiagnose nicht sozial und emotional altersentsprechend entwickelt und bedürfen der Unterstützung. Eine solche Unterstützung umfasst insbesondere bei jüngeren Kindern die vollumfängliche Begleitung der Unterrichts- sowie Pausenzeiten. Für ein Kind in der ersten Klasse bedeutet dies, dass sich die Kosten für die Begleitung in einem Schuljahr auf circa 54.000 € belaufen. Dabei gibt es eine Variationsbreite des Fachleistungsstundensatzes. Es erfolgt eine Unterscheidung von Nicht-Fachkräften und Fachkräften. Der Stundensatz variiert je nach Träger und Qualifikation zwischen 39 € und 83 €. In den Hospitationen zur Feststellung der Teilhabebeeinträchtigung in den Schulen wird deutlich, dass immer mehr Kinder Auffälligkeiten im Sozialverhalten vorweisen. Dies spiegelt sich auch in den Antragsstellungen gem. § 35a SGB VIII und dem gestiegenen Beratungsbedarf der Elternteile wieder.
Die Kosten für die Schulbegleitungen werden im Jahr 2024 insgesamt ca. 915.000 € betragen.
Ein weiterer Faktor der enormen Kostensteigerung sind die fehlenden Inobhutnahme-Plätze. Gerade bei sogenannten "Systemsprengern" besteht keine Auswahlmöglichkeit, sondern es muss der verfügbare Platz genommen werden. Diese Plätze haben häufig einen enorm hohen Tagessatz von bis zu 755,16 €. Die Suche nach einer Anschlussmaßnahme gestaltet sich oft langwierig und schwierig, da die Bedarfe dieser Kinder und Jugendlichen die Angebote der meisten Wohngruppen überschreiten. Häufig müssen die betroffenen Kinder demnach deutlich länger als ursprünglich geplant in den Inobhutnahmestellen verbleiben. Beispielhaft kann hier der Fall eines 10-jährigen Mädchens aufgeführt werden. Im Zeitraum von Januar bis September 2024 entstanden Kosten von 106.000 € für die Inobhutnahme und Unterbringung bis zur Aufnahme in einer geeigneten stationären Einrichtung. Im September 2024 erfolgte die Aufnahme in der Einrichtung mit einem Tagessatz von 357,35 €. Dies wird bis zum Ende des Jahres zu weiteren Kosten von 38.000 € führen. Somit entstehen im Jahr 2024 für den genannten Fall insgesamt Kosten von annähernd 144.000 €. Dies ist längst kein Einzelfall mehr, sodass im Jahr 2024 aus Mangel an Alternativen gleich mehrere Kinder zu ähnlichen Tagessätzen für längere Zeiträume untergebracht werden mussten. Der Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten für Inobhutnahmen oder stationäre Anschlussmaßnahmen führt dazu, dass pro Kind in der Regel circa 50 Anfragen an die Träger der verschiedenen Wohngruppen erfolgen müssen, bevor es zu einer positiven Rückmeldung kommt. Die Auswahl nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist aufgrund des mangelnden Angebots faktisch nicht mehr umsetzbar.
Der Bedarf für Familien von Hilfen zur Erziehung ist vielschichtig. Neben einem erhöhten Fallaufkommen (Fallzahlenentwicklung: Vergleich Januar 2022 180 Fälle zu Oktober 2024 239 Fälle) steigen auch die individuellen Hilfebedarfe der Familien in ihrer Komplexität. Unter der Maßgabe der familienerhaltenden Unterstützung werden aktuell viele Familien mit mehr als einer Hilfemaßnahme begleitet. So kommt es parallel zu teilstationären Maßnahmen wie Tagesgruppen, zu ambulanten Unterstützungen der Kindeseltern und der individuellen Begleitung der Kinder und Jugendlichen. Beispielhaft hierfür ist eine Familie mit fünf Kindern. Im Jahr 2024 erhält ein Kind eine Hilfemaßnahme in Form eines sozialen Gruppenangebots. Ein weiteres Kind ist aufgrund seiner emotionalen Störung in einem intensiven stationären Setting untergebracht. Darüber hinaus erhält das gesamte Familiensystem zur Stabilisierung eine ambulante Erziehungshilfe. Die Gesamtkosten für die Familie belaufen sich im Jahr 2024 auf insgesamt ca. 143.500 €. In einer anderen Familie besuchen beide Kinder im Anschluss an die Schulzeit eine Tagesgruppe. Die derzeitigen Kosten hierfür liegen bei ca. 110.000 € pro Jahr.
Auch die individuellen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen steigen und führen damit zu erhöhten Kosten im Bereich der Jugendhilfe. So benötigen Kinder zunehmend intensivere Settings als das Angebot einer Regelwohngruppe. Ein zehnjähriger Junge war beispielsweise bis April 2024 in einer Regelwohngruppe mit einem Tagessatz von 243 € untergebracht. Im Anschluss erfolgte die Unterbringung in einem Intensivsetting mit interner Beschulung für 268 €, da die Regelwohngruppe mit den Auffälligkeiten des Kindes überfordert war. Die Bedarfe des Kindes überstiegen auch die Möglichkeiten des Intensivsettings, sodass der Träger die Maßnahme im Juli 2024 beendete. Im Anschluss erfolgte die Unterbringung in einem hochintensiven Setting, mit einem Tagessatz von 363 €, um den Bedarfen des Kindes gerecht zu werden. Da bei diesem Träger keine interne Beschulung möglich ist, muss das Kind zusätzlich durch eine Integrationskraft begleitet werden, um in den Schulalltag integriert werden zu können. Die Gesamtkosten der Hilfemaßnahmen belaufen sich im Jahr 2024 hiermit auf ca. 122.000 €. Es ist davon auszugehen, dass dieses Kind seinen Lebensmittelpunkt langfristig in einer Intensivwohngruppe haben wird.
Auch die Zahl der Kindeswohlgefährdungsmeldungen hat zugenommen. Bis Mitte November 2024 wurden 97 Meldungen aufgenommen. In der Überprüfung der Meldungsinhalte wurde bei nahezu 40 % der Meldungen ein Bedarf an Hilfen zur Erziehung festgestellt und entsprechende Hilfemaßnahmen installiert. In 18 Fällen musste aufgrund einer akuten Kindeswohlgefährdung eine Inobhutnahme durchgeführt werden, welche - wie oben bereits dargestellt - eine sehr kostenintensive Hilfemaßnahme darstellt. Damit einhergehend stieg auch die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien und Erziehungsstellen. Im Jahr 2022 lebten beispielsweise insgesamt 28 Kinder und Jugendliche in einer Pflegefamilie, im Oktober 2024 waren es bereits 38 Kinder und Jugendliche, was einem Anstieg von 35 % entspricht. Im gleichen Zeitraum lebten 10 Kinder und Jugendliche in einer Erziehungsstelle, welche deutlich kostenintensiver sind als Pflegefamilien. Im Oktober 2024 waren es 16 Kinder und Jugendliche in einer Erziehungsstelle, was einem Anstieg von 60 % entspricht. Aufgrund der komplexen Bedarfe der Kinder und Jugendlichen mussten zur Stabilisierung der Pflegeverhältnisse zusätzlich oft flankierende ambulante Hilfen installiert werden, was ebenfalls zu Mehrkosten führt.
Die vorgenannten Gründe führen dazu, dass der Haushaltsansatz für das Jahr 2024 nicht ausreicht und weitere Mittel in Höhe von insgesamt rd. 1,9 Mio € benötigt werden.
Weitere Vorgehensweise:
Das Amt für Jugend, Bildung und Sport nimmt die aktuelle Situation zum Anlass, die Verwaltungsstrukturen im Bereich der Wirtschaftlichen Jugendhilfe zu überprüfen. Erste Maßnahmen, wie z. B. die engmaschigere Kontrolle der Ausgabe- und Einnahmesituation sind bereits umgesetzt, um frühzeitiger auf Entwicklungen reagieren zu können.
Stellungnahme der Kämmerei: Im Doppelhaushalt 2024/2025 wurden für das Jahr 2024 Gewerbesteuererträge in Höhe von 31 Mio. € eingeplant. Das Ergebnis für das Jahr 2024 beläuft sich derzeit auf rd. 34,4 Mio. € (+ 3,4 Mio. €). Insofern stehen ausreichende Deckungsmittel für die überplanmäßige Mittel-bereitstellung zur Verfügung. Anlage/n:
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